Der gewöhnliche Alltag zuhause in Deutschland ist alles andere als leise. Wir leben zwar durchaus auf dem Land in einem kleinen Dorf, und doch hörst du immer wieder einmal ein vorbeifahrendes Auto, Wortfetzen von Menschen, die sich unterhalten, Türen, die sich schließen, Hunde, die bellen. Noch intensiver wird es, wenn du dich in den Tumult des Lebens wirfst, also beispielsweise einkaufen gehst, wo viele Menschen sind, oder anderweitig in die Massen untertauchst. Dazu kommt die (Dauer-) Beschallung von Funk und Fernsehen, die direkte Kommunikation mit anderen von Angesicht zu Angesicht oder via Internet und Telefon – ich denke, die wenigsten von uns leben komplett ohne.
Schlussendlich sind wir von klein auf daran gewöhnt, das macht uns nichts aus, es ist normal. Ja, nachts vielleicht, wenn die Welt um uns herum still zu sein hat, damit wir schlafen können, und dann jemand auf der Straße meint, ein wenig „Bambule“ machen zu müssen, dann nervt es natürlich.
Wie würde ich mit der Stille klar kommen?
Stell dir vor, du würdest demnächst zum allerersten Mal in deinem Leben einen Urlaub in Lappland oder einem vergleichbarem Landstrich machen. Eine Reise so richtig fern deiner gewohnten Zivilisation und Umstände, wie ich es in diesem Artikel beschrieben habe: Das Ferienhaus in Vuojat. Welche Gedanken und ggf. Bedenken würden dich im Vorfeld umtreiben? Wenn ich mit Freunden und Bekannten darüber rede, ist es bei den Frauen meist übrigens das fehlende Badezimmer und die Tatsache, dass es für den Zeitraum dann eben auf das Plumpsklo gehen wird – Tag und Nacht, bei Wind und Wetter.
Das war es bei mir nicht, ich bin diesbezüglich tiefenentspannt. Stattdessen machte ich mir Gedanken darüber, wie ich eben ohne meine gewohnten Alltagsgeräusche klar kommen würde. Oder anders: Könnte ich mich selbst über einen längeren Zeitraum in der Stille aushalten?
Und überhaupt: Langeweile?
Langeweile ist für mich einer der anstrengendsten emotionalen Grundzustände, ich kann nur sehr, sehr schlecht damit umgehen. Im Urlaub würden mir jetzt aber nicht meine gewohnten Ablenkungsmanöver zur Verfügung stehen, die ich im Falle auftretender Langeweile als Gegenmaßnahme anwerfen könnte. Noch bedenklicher: Der einzige Ansprechpartner, der mir in dieser Zeit, mal abgesehen von Besuchen und Fahrten in die Stadt, bleiben würde, war Harald. Und seine Einstellung zur Stille ist von jeher eine ganz andere.
Harald und die Stille
Ich glaube, er weiß gar nicht so recht, was Langeweile ist. Gut, es sei denn, wir versuchen uns ausnahmsweise an einem Strandtag, dann mutiert er im Handumdrehen zum Käfigtiger, der nervös auf und ab tapert und aus der Situation entkommen möchte. Ansonsten gibt es Langeweile in seinem Leben nicht.
Sobald er draußen in der Natur sein kann, ist sein Leben absolut in der Waage. Dabei ist es egal, ob er durch die Gegend stromert und sie erkundet, stundenlang Fotos macht oder einfach nur still dasitzt und atmet. Er braucht (und will) keinen Smalltalk, mit den meisten Menschen möchte er sowieso eigentlich lieber eher nicht reden, auffällig viele Alltagsgeräusche empfindet er als störend. Eremit halt, für ihn ist Stille ein absoluter Genuss.
Nicht falsch verstehen! Wir beide können uns, auch wenn es nach der Beschreibung zuvor merkwürdig klingt, stundenlang unterhalten, über alles, was uns in den Kopf kommt. Das machen wir sogar, im Verhältnis zu vielen anderen Ehepaaren, ungewöhnlich häufig. Aber würde unser Gesprächsstoff auch für so viele Tage am Stück reichen?
Eine merkwürdige Erfahrung
Nachdem wir das Ferienhaus besichtigt, von meinem Onkel alle notwendigen Instruktionen erhalten hatten und allein dort draußen waren, setzte ich mich auf die überdachte Veranda vor dem Haus und schaute über den See.
Und unvermittelt, wie angeschlichen und nicht wirklich erklärbar – unfassbar beruhigend – dachte ich auf einmal: NICHTS! Ein riesiges, wohltuendes Nichts breitete sich im Gehirn aus. Ich habe mich einfach abgeschaltet.
Ab diesem Moment schloss ich Frieden mit der Stille, mittlerweile freue ich mich sogar genau darauf, wenn es nach Lappland geht.
Ein freundschaftlicher Tipp
Solltet ihr jemals einen solchen Urlaub planen wie wir, gibt es genau einen Fehler, den ihr vermeiden solltet! Die Erfahrung schenk ich euch:
Wie im Beitrag Wann kommt ihr endlich? beschrieben, hatte Harald mich damit bestochen im Anschluss an den Urlaub in Lappland ein Wochenende mitten in Stockholm anzuhängen.
Das war eine dumme Idee – eine ganz, ganz dämliche!
Aus der absoluten Ruhe und Entspannung ging es in die quirlige Großstadt. Nachdem wir den ganzen Tag gefahren waren, hingen wir zunächst am Rande der Stadt im Stau des Feierabendverkehr fest, verfranzten uns anschließend orientierungstechnisch wegen diverser Baustellen, bis wir endlich im Hotel ankamen.
Am liebsten wären wir direkt ins Bett gegangen, wir waren fix und fertig. Aber HEY, wir sind in Stockholm, das muss man auskosten! Zumindest wollten wir in der Altstadt hübsch romantisch essen gehen. Love is in the air – und so.
Unsere Nerven wurden nach der langen Zeit der Stille im Gewusel der Großstadt von 0 auf 100 überreizt. Schon auf dem Weg zum Restaurant bekamen wir uns derart in die Haare, dass wir beide umgehend die Scheidung einreichen wollten. Statt romantischem Candlelight-Dinner gab es wütendes, verbittertes Anschweigen. Erst am nächsten Morgen waren wir in der Lage, überhaupt wieder miteinander zu reden.
Das machen wir definitiv nie wieder!