Der Wind pfiff schneidend um die Ecken, als wir im März 2023 sehr spät am Abend bei Maggi und Bengt ankamen. Dort wollten wir unser Auto parken, die letzte Etappe einer 2600 Kilometer langen Reise ins kalte Weiß war endlich geschafft. Der Weg war anstrengend: Nach der Übernachtung in Docksta (Höga Kusten) schlichen wir über Glatteis und schneeverwehte Straßen die letzten 600 Kilometer zum Ziel.
Unterwegs hatten wir noch einige Zeit daran verloren, Lebensmittel für die ersten Tage zu kaufen, wir fühlten uns sehr angestrengt und auch der Hund lag geschafft auf der Rückbank. Doch ein Abenteuer wartete noch auf uns, schließlich war es noch ein Stück bis zu unserem Häuschen! Felix, Maggis Sohn, lud unser Gepäck mit routinierten Bewegungen auf den Schneescooter-Anhänger, er hatte angeboten, unsere Sachen zum Haus zu fahren, wir waren so dankbar. „Fast geschafft“, freute ich mich.
Fast. Denn der letzte Akt war ein 2,5 km langer Fußmarsch durch den tiefen Schnee zum Haus.
Das packe ich doch mit links!
Dumm nur, dass ich im Auto noch in bequemer, leichter Kleidung gesessen hatte – eine dünne Outdoorhose, ein dünner Fleecepulli. Eigentlich wollte ich vor dem Aufbruch noch lange Unterwäsche, ein zweites Paar Wollsocken und einen dicken Wollpulli drüberziehen, schließlich ist geeignete Kleidung bei solcher Witterung total wichtig. Doch zwischen Erschöpfung und der Hektik, weiter zu kommen, vergaß ich es einfach. „Ach, was soll’s“, dachte ich, immerhin hatte ich schließlich meine dicke Daunenjacke, gefütterte Thermostiefel, gewöhnliche Handschuhe, meinen Lieblingsschal und eine einfache Strickmütze an der Frau. 2,5 Kilometer? Eine halbe Stunde? Das packe ich doch mit links, auch bei minus 32 °C.
Harald warf meine Schneeschuhe in seine Pulka. Er war nämlich der Meinung, dass der Weg dorthin durch die Schneescooter so festgefahren wären, dass ich die gar nicht benötigen würde. Da bräuchte ich mir doch nicht diese Klötze an die Füße schnallen.
Dachte ich.
*singt* Dieser Weg wird kein Leichter sein
Die ersten 300 Meter schienen harmlos – die Schneescooter, die dort in den letzten Tagen gefahren waren, hatten tatsächlich eine recht feste Spur hinterlassen. Felix, seine Freundin Elin und unser Gepäck waren voraus gefahren, Harald, ich und unsere Hündin Norr standen nun also allein in der tiefschwarzen Nacht auf dem verschneiten Weg. Nur das Licht seiner Stirnlampe schnitt durch die pechschwarze Nacht, die ansonsten ein wenig die Orientierung schluckte. Schon nach wenigen Minuten spürte ich, wie die Kälte durch die dünne Outdoorhose kroch, als wäre der Stoff ein Hauch von Nichts. Ich biss natürlich die Zähne zusammen und ließ mir nichts anmerken, schließlich war es ja nicht mehr weit.
Das echte Problem kam jedoch schneller als gedacht. Nach einem Drittel des Weges war der Untergrund nicht mehr fest, es gab nur noch weichen, tückischen Schnee, der mich alle paar Meter bis zu den Knien einsacken ließ. Manchmal, wenn ich falsch trat, versank ich sogar bis zur Hüfte. Die Nase lief, ich war müde und mit jedem Schritt spürte ich ein wenig mehr Verzweiflung in mir aufwallen. „Geeignete Kleidung“ – da war doch was, hätte ich da doch dran gedacht. Was nützte eine Daunenjacke, wenn darunter keine Schichten die Körperwärme hielten? Was halfen Thermostiefel, wenn die Hose kaum mehr isolierte als ein Sommerschal? Wirklich geeignete Kleidung ist halt, wenn das komplette Outfit stimmt, nicht nur einzelne Teile, das gehört alles zusammen.
Ich arbeitete mich Schritt für Schritt vorwärts, starrte auf Haralds tanzenden Lichtkegel der Stirnlampe vor mir, versuchte, meine Gefühlswallungen unter Kontrolle zu halten. Ein Drittel des Weges erst geschafft und ich hatte die Nase schon bis zum Anschlag gestrichen voll. Plötzlich – ein greller Lichtstrahl und Motorengeräusche in der Ferne. Felix und Elin, beide in dicken Overalls vermummt, als wären sie vom anderen Stern.

Auf dem Schneescooter mitfahren? Mein Albtraum!
„Alles okay?“, brüllte Felix gegen den Krach der Motoren an. Harald erklärte die Lage mit einer Handbewegung. Felix Blick wanderte zu meinen zitternden Beinen. „Komm, ich nehm dich mit!“, bot er an. Doch mein Magen verkrampfte sich. Schneescooter? Diese lauten, unberechenbaren Maschinen? Ich hatte Angst vor der Geschwindigkeit und Kontrollverlust. Aber die Kälte in meinen Knochen flüsterte: „Stell dich nicht so an. Du bist verrückt, wenn du nicht mitfährst!“
Also kletterte ich auf den Sitz hinter Felix, die Beine steif wie die von Pinocchio, die Finger verkrampft um seine Jacke. Die Fahrt war für mich ein Albtraum. Der Fahrtwind peitschte, die Kälte fraß sich in jeden Muskel. „Lass mich hier runter!“, schrie ich gegen den Motor an, als ich wusste, dass das Haus nicht mehr weit entfernt war. „Das sind doch nur noch 200 Meter!“, rief er. Aber ich wollte nicht mehr. Nicht eine Sekunde.
Er hielt an, und ich stolperte vom Scooter, die Beine taub, die Hände gefühllos. „Bist du sicher?“, fragte er noch, aber ich nickte nur. Zu stolz, um zuzugeben, wie kaputt ich war. Elin und er verschwanden im Dunkeln, während ich allein zurückblieb – gestresst, genervt, aber durchaus noch entschlossen.
Allein im eisigen Dunkel – Ein Kampf um jeden Meter
Schnell merkte ich jedoch, dass die Idee dann doch ziemlich dumm war, denn nun geriet ich bei jedem Schritt bis zur Hüfte in den Schnee. Verdammt! Harald war mit dem Hund und der Pulka weitergegangen, da beides nicht auf dem Scooter mitgenommen werden konnte und die Stirnlampe – das letzte bisschen Sicherheit – mit ihm. Da hockte ich nun, erschöpft und allein in der schneeverhangenen Finsternis. Meine Oberschenkel waren nur noch Fremdkörper. Diese letzten 200 Meter? Ein Albtraum. Jeder Schritt ein Kraftakt: Das linke Bein versank bis zur Hüfte, ich riss es heraus, nur um mit dem rechten Bein genauso tief einzubrechen. Die Zeit dehnte sich – Minuten fühlten sich an wie Stunden.
Da, endlich! Ein Lichtkegel tauchte hinter mir auf. Harald! Er kam langsam näher, die Pulka mit dem Hund im Schlepptau. Relativ problemlos stapfte er durch den tiefen Schnee, während ich wie in Zement steckte.
„Warum bist du denn hier und noch nicht im Haus?“, rief er in einem Ton, der mir in diesem Moment wie blanker Hohn vorkam. Etwas in mir riss. „Weil es für mich nicht so einfach ist, verdammt noch mal!“, zischte ich zornig. „Gib mir sofort die scheiß Schneeschuhe! Und dann mach du doch den Ofen an, wenn du so toll bist, du Held!“
Er kramte wortlos die Schneeschuhe aus der Pulka. Ich zerrte die Schneeschuhe aus der Hülle, die Hände so steif, dass ich die Schnallen kaum schließen konnte. „Ich warte auf dich“, sagte er, doch ich funkelte ihn an. „Geh. Jetzt. Lass mich bloß in Ruhe!“
Er nickte und ging. Der Hund zockelte hinter ihm her.

Mit reichlich Wut als Antrieb
Ich zog die Handschuhe aus, um die Schnallen der Schneeschuhe zu öffnen – ein Fehler. Meine Finger waren bereits so steif, dass sie kaum gehorchten. Und dann der nächste Schlag: Die nagelneuen Schneeschuhe passten nicht richtig auf meine Stiefel! Ich hatte vergessen, sie zu Hause anzupassen. Ein Fluch entwich meinen Lippen, so laut, dass er durch die stille Nacht hallte.
Im Schnee bis zur Hüfte steckend, konnte ich außerdem meine Beine nicht hoch genug heben, um die Schneeschuhe anzubringen. Die Verzweiflung und die blanke Wut übermannten mich. Ich riss mir den Schal vom Hals, band die Schneeschuhe daran fest und versuchte, die Handschuhe wieder über die gefühllosen Finger zu streifen – vergeblich. Also stopfte ich sie in die Hosentaschen, versuchte stattdessen die Jackenärmel ein wenig über die schockgefrosteten Hände zu ziehen und begann zu kriechen, die Schneeschuhe am Schal hinter mir her zerrend.
Kriechend durch die Nacht
Jeder Zentimeter war nun zäh wie Fensterleder, der Schnee schien mich irgendwie am Boden festhalten zu wollen. Die Kälte brannte auf der Haut, die Haare waren bereits tiefgekühlt.
Ich brauchte Pause um Pause, für lächerliche 200 Meter eine halbe Stunde. Durch das Fenster sah ich, wie Harald gemütlich den Ofen anmachte. Kein einziger Blick nach draußen, er machte sich gar keine Sorgen um mich, so sicher war er sich, dass ich das schaffen würde. Ich war so wütend und die Wut gab mir Kraft für die letzten Meter.
Die letzte Hürde: Ein hoher Schneewall vor der Veranda. Mit letzter Anstrengung warf ich ein Bein darüber – ein stechender Schmerz durchzuckte meine Hüfte, ein Krampf! Ich ließ mich fallen, rollte über den Wall und landete mit einem harten Bums auf der Terrasse. Dort lag ich dann, völlig am Ende, völlig erschöpft.
Die Tür öffnete sich. Harald blickte auf mich herab. „Warum liegst du da herum? Willst du nicht lieber reinkommen?“ Er ging wieder rein. Ich konnte nicht antworten, nicht einmal mehr wütend sein, aber ich schwöre: Hätte ich in seiner Reichweitee gestanden, dann hätte ich ihm eine gehauen!
Nach ewig langen Minuten rappelte ich mich endlich auf und stolperte ins Haus. Da das Haus bei unserer Abwesenheit kalt steht, war es drinnen mit minus sieben Grad auch echt kalt – und doch fühlte es sich im Kontrast zu der eisigen Kälte draußen wohlig warm an in diesem Moment. Ich sackte auf den tatsächlich gefrorenen Sessel, unfähig zu sprechen, zu weinen, mich zu bewegen.
Jetzt begriff sogar Harald, wie schlecht es mir ging. Er holte mein Federbett und deckte mich zu. Und doch: Ich hatte es geschafft.
Die eisige Lektion fürs Leben
Ich habe Ewigkeiten gebraucht, bis ich wieder Gefühl in den Fingern und Beinen hatte und mir warm wurde. Noch einen ganzen Tag war die Haut auf den Oberschenkeln stark gerötet. Da hatte ich enorm Glück, dass ich so gut davon gekommen bin.
Gelernt habe ich: Geeignete Kleidung ist Sicherheit. Jede vernachlässigte Schicht, jedes falsche Material kann den ganz großen Unterschied ausmachen.
Und: Manchmal bekommt man die eigene Dummheit halt recht fest unter die Nase gerieben.