Es war Ostern 2022 und wir reisten für zwei Wochen aus dem bunten Frühlingserwachen in Deutschland zurück ins schimmernde Weiß. Unser Häuschen war zu der Zeit mit einer dicken Schicht Schnee zugedeckt, das sah fast aus wie ein kitschiges Postkartenidyll! Die Sonne funkelte auf den unberührten Flächen, der Himmel strahlte in wolkenlosem Blau und die Luft war so klar.
Mit der Sonne, die unerwartet bereits ordentlich wärmte, hatten wir nicht gerechnet. In den Vorräten hatte ich noch eine Handvoll übrig gebliebener Kekse gefunden und so genossen wir unseren ersten Kaffee schon in der Sonne, auf den Holzbänken auf unserer Veranda, und sahen dabei den Eiszapfen, die sich an der Dachkante aus dem Tauwasser bildeten, beim Wachsen zu.
Im Handumdrehen waren wir – auch Dank der Stille um uns herum – tiefenentspannt und ahnten da noch nicht, dass wir mal wieder kurz davor standen, uns eine Winter-Lektion abzuholen.
Am kommenden Samstag hatte sich unsere Tochter Hanna angesagt! Sie würde nachmittags in Luleå landen und von dort mit dem Flugtaxi nach Jokkmokk fahren, wo ich sie gegen Abend abholen sollte. Sie würde die restlichen Urlaubstage mit uns verbringen und am darauffolgenden Sonntag würden wir zusammen mit dem Auto nach Deutschland zurückfahren.
Ich konnte es kaum erwarten, denn mit Hanna ist immer was los – sie bringt Leben, Lachen und eine ordentliche Portion Chaos in jeden Tag. Und es war darüber hinaus eine Premiere, denn es war ihr erster Besuch in unserem „Irgendwo-im-Nirgendwo“ am Polarkreis. Bisher kannte sie es nur von Fotos und wir waren sehr gespannt, wie es ihr live gefallen würde.
Am Samstag war ich dann viel zu früh in Jokkmokk – zwei ganze Stunden, um präzise zu sein. Die Zeit zockelte langsamer dahin als ein müdes Rentier durch den Tiefschnee. Um mich zu beschäftigen, kaufte ich in den Supermärkten schon einmal das Nötigste ein. Später wollten Hanna und ich noch einmal durch die Geschäfte stromern, da sie daran Spaß hat und auch, weil ich natürlich gern einige Sachen kaufen wollte, auf die sie so richtig Lust hatte. So verstaute ich nur eher unspektakuläre Lebensmittel wie Fleisch, Käse, Eier, Speck, Butter, Kaffee und diverse Gemüsesorten und Salate im Auto und wartete weiter auf meine Tochter.
Als ich sie endlich in die Arme schließen konnte, habe ich das Grinsen fast nicht mehr aus dem Gesicht bekommen. Allerdings war sie so platt nach der langen Reise, dass wir beschlossen, erst am nächsten Dienstag eine große Shoppingtour zu starten, bis dahin würden die Vorräte, die ich bereits gekauft hatte, schon reichen. Also sprang ich nur noch einmal kurz in den nächstbesten Laden, um etwas zum Trinken und einen kleinen Snack für die etwa 70 km lange Fahrt zu unserem Häuschen zu kaufen und schon machten wir uns auf den Weg.
Die Fahrt zu unserem Haus wurde zu einem kleinen Abenteuer – für Hanna, weil sie diese prächtige, schneebedeckte Landschaft noch nie gesehen hatte, und für mich, weil sich zeigte, dass die warme Aprilsonne ordentlich an der Oberflächenbeschaffenheit der Straße genagt hatte, ab und zu kam ich doch kräftig ins Rutschen. Gegen Mittag, als ich nach Jokkmokk gefahren war, war die Straße soweit noch in Ordnung gewesen, in der Nacht hatte es halt gut gefroren. Unser deutscher Kombi hatte nur normale Winterreifen, keine dubbdäck wie die Schweden üblicherweise im Winter aufziehen – also diese Spikereifen, die zumindest ein wenig besseren Halt hätten bieten können. Im Kofferraum lagen zwar Schneeketten, aber ich muss gestehen, dass ich in meinem Leben noch nie welche aufgezogen hatte. Hm.
Also fuhren wir vorsichtig, hielten immer wieder an, damit Hanna die Landschaft in sich aufsaugen konnte: die schneebeladenen Nadelbäume, die eisbedeckten Seen, die Fjälle in der Ferne. Und ich atmete jedes Mal kurz durch, wenn wir wieder standen. Doch wir kamen durch.
Am Parkplatz bei Helge, unserem „Nachbarn“, stiegen wir aus und brachten die letzten drei Kilometer durch den Wald zu unserem Haus hinter uns. Ihre Augen leuchteten als sie zum ersten Mal durch die Tür ins Haus trat. „Das ist total schön und es riecht so toll nach frischem Holz!“, rief sie. Sie fühlte sich sofort wie Zuhause – als wäre sie schon immer hier gewesen.
Abends bereitete ich Pitataschen vor, die wir mit gebratenem Souvas, Coleslaw und Tsatsiki füllten, danach machten wir es uns richtig gemütlich, während draußen die Dämmerung die Landschaft in pastellfarbenes Licht tauchte. Wir lachten, erzählten und genossen die Wärme des Holzofens. Alles war perfekt. Doch die Natur hatte noch andere Pläne für uns in petto.
Sonntag und Montag bescherten uns strahlendblauen Himmel und intensive Sonne mit Temperaturen von bis zu 15 °C! Unglaublich bei dieser Schneekulisse vor Augen, wer will da noch nach Malle? Wir nutzten jeden Sonnenstrahl, streckten unsere Gesichter zur Sonne, lagen auf dicken Decken auf der Veranda wie verwöhnte Katzen und genossen das unerwartete Frühlingsgefühl. Hanna und ich schrieben dabei schon unsere große Shoppingliste für Dienstag – schließlich wollten wir am Sonntag nicht nur mit Erinnerungen, sondern auch mit ausgesuchten schwedischen Mitbringseln im Gepäck nach Hause fahren.
Alles wunderbar, bis… ja bis erst Helge und dann mein Onkel Bengt uns am Montag Abend anriefen. Die Nachricht war in beiden Fällen gleich und gar nicht gut: Die Straße nach Jokkmokk war nicht mehr vernünftig befahrbar, besonders nicht für uns Greenhorns.
Das Tauwetter hatte die Straße, die ja in weiten Teilen eh noch nicht einmal einen Asphaltbelag hatte, in eine nasse, matschige und vor allem rutschige Angelegenheit verwandelt. Die Schneewälle, die vom Schneeräume der letzten Monate noch links und rechts des Weges aufgeschoben waren, waren noch nicht geräumt, das Schmelzwasser konnte nirgends hin. „Erst zum Wochenende, wenn es wieder friert, wird’s besser.“, sagten beide Hiobsbotschaftsüberbringer uns.
Scheiße. (Tschuldigung, aber manchmal muss man die Dinge beim Namen nennen)
Damit waren unsere tolle Einkaufsliste und sonstigen Pläne plötzlich wertlos. Die Vorräte, die wir am Samstag noch als „ausreichend bis Dienstag“ eingestuft hatten, mussten jetzt viel länger reichen – bis zu unserer geplanten Abreise am Sonntag halt.
Ich ging direkt meine sonstigen Vorräte im Schrank durch:
Das hätte wohl selbst Bewohnern einer Studenten-WG Tränen in die Augen getrieben. Mist. Das war recht wenig im Vergleich zu dem, was wir brauchten, und vor allem nichts im Vergleich zu dem, was wir gerne eingekauft HÄTTEN! Draußen begann es zu dämmern, und parallel dämmerte es uns: Wir waren nicht gerade clever gewesen, waschechter können Anfänger wohl kaum sein.
Bengt und Maggi boten an, uns einige Lebensmittel mitzubringen, denn sie wollten trotz allem den Weg von Jokkmokk zu ihrem Ferienhäuschen in unserer Nähe antreten, aber sie hatten schließlich im Gegensatz zu uns einen SUV mit 4WD, die berühmten Spikereifen und vor allem über die Jahre reichlich Erfahrung mit Fahren bei dieser Witterung gesammelt. Und so nannte ich ihnen die nötigsten Dinge, die uns fehlten, um mehr wollte ich nicht bitten, das fühlte sich unverschämt an, das hatten wir uns schließlich selbst eingebrockt. Die Einkäufe brachten sie uns am nächsten Tag mit dem Schneescooter vorbei, das half uns sehr. Und bei Helge wurden wir für den Samstagabend zum Essen eingeladen.
Und so schafften wir es natürlich bis Sonntag – wenn auch mit kulinarischen Abstrichen. Aus der geplanten Köstlichkeiten-Tour wurde eine Meisterklasse in kreativer Resteverwertung: Nudeln mit Thunfisch-Tomaten-Sauce, Bratkartoffeln mit Spiegeleiern, Fisch aus dem See von Maggi mit Salzkartoffeln und das große Finale: Die Einladung bei Helge!
Die Lektion haben wir eindeutig kassiert: Ein Haus in diesen Breitengraden, 70 km weg vom nächsten Supermarkt, braucht Vorräte in den Schränken wie ein Eichhörnchen in seinen Höhlen – am besten für 1-2 Wochen, falls Ungewöhnliches eintritt, so dass man eben nicht fahren kann.
Seitdem lagern bei uns nicht nur Lebensmittel, sondern in unserem Erfahrungsschatz auch reichlich Respekt vor der Natur und dem Wetter. Wir haben zwischenzeitlich sogar einen richtig großen Schrank angeschafft, um genug Platz für Vorräte zu haben!